Lindemann & Stroganow

Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Von Autos und Vorbildern

von Kersten Flenter

Stroganows Tochter suchte gerade verkaufsfähige Altlasten für den Flohmarkt zusammen. "Ich bin schließlich zu alt für diesen Kinderkram", gab sie mit der allen 9-jährigen Mädchen innewohnenden Zickigkeit zu verstehen, als mein Blick auf ein Pixie-Buch fiel. Schon in meiner eigenen Kindheit, die gut verpackt in den Gräbern der zweiten Hälfte eines vergangenen Jahrhunderts lag, hatte ich die philosophischen Werke Carla und Vilhelm Hansens geschätzt. Es waren Sätze wie der folgende, auf den ich gerade stieß, die mir stets das eigene Denken beflügelt hatten: "Du hast ein Auto? Aber warum musst du dann soviel nachdenken?"
Kann man die Gedankenlosigkeit der Auto fahrenden Spezies besser in einem Satz formulieren?
"Klar", mischte Stroganow sich ein, "der Beckstein kann es." "Logisch, dass du auf solche Ausschweifungen abfährst", murrte ich, "du profitierst ja schließlich auch vom Bierkonsum der S-Klasse!" "Nix, bei mir kaufen kaum Mercedesfahrer." "Ich mein ja auch die Sauf-Klasse." "Damit kannst du Beckstein aber nicht vergleichen", insistierte Stroganow, "Beckstein ist zwar ein saufender Proll, aber ein bayrischer. Die Bayern trinken ihr Bier nur deshalb maßweise, weil diese ungenießbare Plörre einfach nicht betrunken macht. Von daher hat er mit seiner Ansicht, man könnte nach zwei Maß Bier noch Autofahren, schon recht. Ich weiß nicht, warum sich alle so darüber aufregen." "Da geht es doch um die Vorbildfunktion", ätzte ich. "Vorbild? Beckstein? Bist du völlig meschugge?" "Die allgemeine Vorbildfunktion eines Politikers, du Affenhintern." "Sag ich doch - du bist vollkommen gaga!" "Kann ich langsam mal mein Petzi-Buch wieder haben?", seufzte Stroganows Tochter. "Nein", sagte ich, "dass kauf ich dir ab. Was willst du dafür?" "5 Euro." "5 Euro??? Das kostet doch neu nur 1,50!!?!" "Nach eurem Streit finde ich, dass der Marktwert aber viel höher ist."
"Sag mal", wollte ich von Stroganow wissen, "was bringst du deiner Tochter eigentlich sonst noch bei außer Bierphilosophie und Vulgärkapitalismus?" "Schnauze! O'zapft is'!" Stroganow reichte mir ein gutes altes Lindener Pils aus der Halbliterflasche. Wir ließen unseren Phantasien freien Lauf und plauderten die nächsten 20 Minuten über die Dinge, die niemanden mehr interessierten: die Galaxis, die Börsenkrise und Walter Benjamin. "Hat der was mit Benjamin Blümchen zu tun?", wollte Stroganows Tochter wissen. "Jetzt reicht's", sagte ich, "ich muss los." Ich nahm Stroganows Autoschlüssel und machte mich auf den Weg, um die Beckstein-Theorie zu testen.

Die Sache mit Oma

Von Hans-Jörg Hennecke

Im Weltall herrscht ständige Bewegung, staunt Lindemann. Nichts ist irgendwo am Rande der Milchstrasse geparkt, alles rast durch die Galaxis, als seinen die Spritpreise nichts. Allerdings - wenn er sich mal die Limmerstrasse ansieht - ist das auf festem Erdenboden nicht viel anders. Die Tankstellen brauchen schon eine hauptberufliche Kraft, um ununterbrochen neue Benzinpreise am Mast hochzuziehen. Merkt man das am Straßenverkehr? Nein, merkt man nicht. Die Hartz IV-ler mit ihren rostigen Fahrrädern widerlegen die Ansicht nicht. Der Deutsche liebt eben sein Auto wie sich selbst - oder noch etwas mehr.
Kürzlich rief Lindemanns alter Schulfreund Pachulke an, war völlig aufgelöst und informierte über eine persönliche Katastrophe. Sein VW-Golf sei an Totalschaden verstorben. Und er, Pachulke samt Ehefrau, sei untröstlich. Ein Unfall, und sie konnten die versicherungsrechtliche Schuld nicht einmal dem Unfallgegner in die Schuhe schieben. Der sei nämlich eine Polizeistreife gewesen, die zügig die Strasse entlang fuhr und dabei auch noch Vorfahrt hatte. Mitfühlend lud Lindemann beide zu heimischem Biertrost. Schon Sekunden später klingelten die Pachulkes, sie hatten wohl mit dem Handy vor Lindemanns Haustür gestanden.
Der Verlust musste beide tief im innersten getroffen haben, trugen sie doch sichtbar am Mantel einen Trauerflor. "Jeden Samstag habe ich ihn abgeseift. Sieben Jahre alt, sah aber aus wie frisch vom Werk", jammerte Pachulke. "Und jedes Jahr mit unserem Golfy in Urlaub", trauerte sein Eheweib. "Bretagne, Toscana, Plattensee... Was unser Liebling alles gesehen und erlebt hat."
"Weißt du noch, wie der Steinschlag nur Zentimeter an uns vorbeirauschte", kam Pachulke nostalgisch ins Schwärmen. Seine Frau nickte verzückt. "Das war in den Alpen, als wir hinter dem Brenner von der Autobahn abgefahren sind. Wegen der Maut."
Beide Pachulkes hauten bei der Erzählung die Biere weg, als sei es nun überflüssiges Wischwasser.
Lindemann deutete auf den Trauerflor und sprach sein Beileid aus. Pachulkes schauten etwas überrascht und schüttelten synchron den Kopf. "Der Trauerflor ist nicht wegen Golfy", setzte Frau Pachulke Lindemann ins Bild. Und Pachulke ergänzte mit einer lässigen Handbewegung. "Der Trauerflor ist wegen Oma. Die saß doch auf dem Beifahrersitz und da hat es sie voll erwischt." "Totalschaden" kommentierte Lindemann mehr für sich selbst.

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