Lindemann & Stroganow

Entenhausen ist überall / Von Plätzen und Pappnasen

Gelesen von Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Entenhausen ist überall

Von Hans-Jörg Hennecke

Nachbar Stokelfranz hatte noch am späten Morgen einen schweren Kopf und bestritt nicht, mehr Schnaps als unbedingt nötig getrunken zu haben. Dann sei er durch die Bardowicker Straße geschwankt und dort sei es geschehen. Dagobert Duck sei ihm persönlich erschienen. Nein, kein Plakat zu dessen werbeträchtigen 66. Geburtstag. Er lief vielmehr ohne stützende Plakat-Säule cholerisch vor Aldi und Lidl über die Parkplätze und schwang seinen berühmten Schirm.
Lindemann versuchte, Ordnung in die Aussage des Nachbarn zu bringen. Bardowicker Straße? Die hatte doch nur den einzigen Existenzzweck, das Gleichgewicht der Discount-Giganten Aldi und Lidl zu stabilisieren. Hinter ihren Parkplätzen lagen beide auf der Lauer und kämpften erbarmungslos um Marktanteile. Wurde es zu toll, griff der Staat mit seinen Kontrollmechanismen ein. Da war z.B. eine Dauerbaustelle als Hindernis, Sonderangebote der Diskount-Giganten lastwagenweise abzufahren. Fürsorglicher Staat, dachte Lindemann.
Und Dagobert Duck? Ob dem vielleicht Lidl gehörte? Aldi jedenfalls nicht, das gehörte aufgespalten in die Halbreiche Aldi- Nord und Aldi-Süd den Brüdern Karl und Theo.Einer war allerdings verstorben und der andere längst über 90. Neuere Fotos gab es von ihnen nicht und so konnte Stokelfranz nur mühsam ausschließen, die nächtliche Erscheinung sei der überlebende Aldi gewesen, der vielleicht inkognito den 100. seiner Goldgrube feierte. Immerhin wurde er in Zeitungen „das Phantom“ genannt. „Vielleicht sieht er Dagobert Duck ziemlich ähnlich“, versuchte Stokelfranz sein Erscheinungsbild zu retten. Lindemann nickte großzügig. „Karl Albrecht ist ihm ähnlich. Bestimmt besitzt auch er einen Geldspeicher, der Milliardäre unabhängig von inkompetenten, betrügerischen oder kränkelnden Banken macht. Der oft verhöhnte Sparstrumpf von Oma wurde durch die Realität von Bankenpleiten rehabilitiert. Und Zinsen zahlen die Finanztempel inzwischen kaum noch. So weit, so schlecht.“
Tatsächlich, Omas Selbstgestrickter hatte den Nadelstreifen-Nieten des internationalen Bankwesens eine grandiose Niederlage bereitet. Diese Weisheit hätten die Giergeier jedem Dagobert-Comic entnehmen können, aber sie wollten nicht. Banken spielten da nämlich keine Rolle. Zudem lebte der alte Duck hemmungslos aus, was Kapitalismus in seinem Wesensgehalt war.Ein erbarmungsloses System, in dem selbst die Familie (Donald und die drei Neffen) hemmungslos ausgebeutet wurde.
Es war an einem dieser lauen Sonnenabende, dem auch die beginnende Dämmerung nichts anhaben konnte. Lindemann schlenderte den Grünzug an der Rampenstraße längs und gab sich schließlich auf einer Bank dem Feierabend hin. Wie aus dem Nichts tauchte er urplötzlich auf und setzte sich ungefragt dazu: Dagobert Duck!
Lindemann sah seine Chance. „Sind Sie Karl Albrecht? Der Aldi-Albrecht?“ Die Ente schüttelte den Kopf und schob den Schnabel beiseite. „Ich bin Fred Sommer und bekomme für den Aufzug 7 Euro die Stunde, warte also mit Schmerzen auf den Mindestlohn. Haben Sie nicht gehört, dass ein neuer Investor das Ihme-Zentrum zum Erlebnispark Entenhausen machen will? Ich soll für die Idee werben. Donald und die Neffen fangen Montag an.“

Von Plätzen und Pappnasen

von Kersten Flenter

Linden-Nord hat einen neuen Platz. Der ist zwar schon lange da, aber jetzt bekommt die Grünfläche zwischen Spielplatz am Pfarrlandplatz und Wilhelm-Bluhm-Straße einen offiziellen Namen. Von irgendwo her kommt plötzlich eine Million Euro, die von der Stadt zwecklos verprasst werden kann, aber das geht nur bei Flächen, die auch einen Namen haben. Deshalb haben wir jetzt also den Velvetplatz. Jedenfalls soll er ein wenig eventisiert werden, das ist doch eine schöne Sache. Nur Stroganow ist wieder mal argwöhnisch. Er wittert mehr Beton, mehr Verkehr.
Ich weiß nicht, warum Stroganow eigentlich aus Prinzip immer erstmal dagegen ist, wenn der Stadtteil angehübscht werden soll. Es ist doch nicht verkehrt, wenn hier und da etwas verbessert wird, und die Anwohner werden sogar einbezogen, können Vorschläge machen oder zumindest den Vorträgen der StadtplanerInnen lauschen.
Nun, ich finde ja, dass man den jetzt also so heißenden Velvetplatz auch verschönern könnte, wenn man den Anwohnern, sagen wir, ein Zehntel der zur Verfügung stehenden Summe in die Hand gäbe, wozu braucht es da eine Million? Es geht aber nicht nur um den Velvetplatz, sagen die Stadtplaner, sondern am Ende um das ganze Areal, über die Wilhelm-Bluhm-Straße hinweg durch den Brackebuschgarten bis runter zur Leine. Was könnte man da nicht noch alles machen. „Mir doch egal“, mault Stroganow, „ständig müssen die Leute was machen. Ist doch schon alles da – da gibt es Büsche, Bäume, Rasen, jugendliche Dealer, Kartonleichen. Warum kann man den Leuten nicht einfach ihren unspektakulären Müßiggang lassen?“ „Ach, Stroganow“, seufze ich, „natürlich müssen Architekten und Studentinnen auch irgendwie beschäftigt werden.“ Aber als Schelm, der stets das Böse denkt, meint Stroganow folgendes: „Man musste den Planern auf der Bürgerversammlung den eigentlichen Skandal an der Geschichte schon wirklich aus der Nase ziehen: Dass es nämlich eine Überlegung gibt, den Fußweg zwischen Henniges- und Wilhelm-Bluhm-Straße für Autos freizugeben! Das Argument: auf dem Wendeplatz am Ende der Hennigesstraße käme es bei Schulschluss der Eichendorffschule immer wieder zu gefährlichen Situationen durch zurücksetzende Autos, und die Fußgängerzone würde ja eh schon von Autos benutzt werden, dann könne man sie auch zur Durchfahrt freigeben. Dann könnten die Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto von der Schule abholen, leichter wegfahren.“ Gut, der Gedanke, dass man Regelungen abschafft, die eh ignoriert werden, entbehrt nicht einer gewissen Logik. Es wird ja auch gemordet, obwohl es verboten ist. Was Stroganow nervt, sagt er, ist aber was anderes: Warum sollen die Anwohner eines Viertels mit noch mehr Autoverkehr belästigt werden, damit Eltern, die mit ihrem Auto aus anderen Stadtteilen, wahrscheinlich aus schön verkehrsberuhigten Zonen mit Eigenheimen kommen, hier noch ungehemmter cruisen können? Als hätten die Stadtplaner nicht schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts dem Irrtum des individualisierten Mobilitätswahns aufgesessen. Und die Ecke Salzmann-, Velvet- und Wilhelm-Bluhm-Straße ist für die Kinder der Salzmannschule als Überweg eh schon gefährlich genug. „Alles halb so wild“, versuche ich Stroganow zu beruhigen, „das ist doch nur ein Gedanke. Die Anwohner haben da noch ein Wörtchen mitzureden.“ „Lass uns wetten“, kontert Stroganow, „das was angeblich nur ein Gedanke ist, ist wahrscheinlich schon insgeheim beschlossene Sache. Bürgerbeteiligung ist doch nur eine Farce. Man will sich absichern, nicht mehr.“ Mir behagt diese Wette nicht, denn ich fürchte, ich könnte sie verlieren.

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