Lindemann & Stroganow

Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Sport ist Mord - Friedhofsgedanken sind Gießkannengedanken

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Sport ist Mord

Fahrenholz war gestorben und Lindemann gelobte unter Schweißausbrüchen, von nun an ein gesünderes Leben zu führen. Fahrenholz schied mit nur 45 dahin, ein gesunder kräftiger Mann, der ohne jede Vorwarnung in das Büro des Herrn beordert wurde. So stand es jedenfalls in den mittelgroßen Anzeigen beider Tageszeitungen, die durch die Altersangabe zu finsteren Boten des Grauens wurden. Lindemann kannte Fahrenholz nicht, aber er betrachtete die Anzeige vom Ableben des Zeitgenossen doch als eine Art letzter Warnung, als Hinweis auf die letzte Ausfahrt vor frühzeitigem Exitus. Gesunde Landluft verordnete sich Lindemann nach einer kritischen Selbstdiagnose spontan. Gesunde Milch und Biogemüse in abgasfreier Luft, so muss man leben. Regelmäßig Sport.
Mit der gesunden Straßenbahn (Linie 9) fuhr er raus aufs Land.
In Empelde entdeckte Lindemann zu seiner Freude als erstes einen Biogemüse-Laden. Doch der hatte geschlossen, obwohl es erst früher Nachmittag war. In der Tür entschuldigte ein kleines Schild: Wegen Trauerfall geschlossen. Biogemüse und Trauerfall? Vermutlich war der Händler hundert und hatte sich aus Überdruss das Leben genommen.
Dann las Lindemann das Firmenschild über dem Laden: 'Gesund ernährt mit Fahrenholz'. Sollte das... nein, das konnte doch nicht sein. Brach die Welt in sich zusammen und das ausgerechnet mitten in Empelde? Eine alte Dame ganz in Schwarz kam auf Lindemann zu. „Sind Sie Kunde? Oder kannten Sie meinen Sohn?“, wollte die wissen.
„Mit 45 gestorben, wie kann das sein“, entgegnete Lindemann geistesgegenwärtig. „Der hat doch gesund gelebt...“
„Und wie“, bestätigte die alte Frau Fahrenholz. „Keine Zigaretten, kein Bier. Nur Sport, und das war es dann. Der Expander machte ratsch, aber es war nicht der Expander. Es war ein Muskel im Herzen. Sport ist Mord, lassen Sie sich das gesagt sein. Ich bin ohne Sport 80 geworden und fühle mich ganz wohl. So, jetzt muss ich aber los, rüber zum Kiosk. Seit einer halben Stunde habe ich keine Zigarette mehr gehabt.“
Manche Wahrheiten sind ganz einfach, dachte Lindemann und gelobte, sich selbst zu trauen und nicht irgendwelchen schwarzumrandeten Klugschwätzereien nachzuhecheln. Dermaßen geläutert fuhr er mit der Linie 9 retour zum Lindener Markt, kaufte sich im Fachhandel ein Päckchen Feinschnitt und eine Lage Zigarettenpapier, um durch eigene Kreativität den Tabakgenuss zu verschönen. Wehmütig dachte er an einen früheren Pförtner seiner Dienststelle, der bei einem Unfall einen Arm eingebüßt hatte. Mit nur einer Hand drehte der in seiner Kitteltasche wunderbare Zigaretten. Ein Künstler. Aber das war lange her. Damals gab es vermutlich noch Dinosaurier und das Rauchen war im ganzen Land erlaubt.

von Hans-Jörg Hennecke

Friedhofsgedanken sind Gießkannengedanken

Schade, dass ich nicht von mir selbst Abschied nehmen kann. Ich würde gern Sonntagnachmittags auf einer Bank gegenüber meiner Grabstelle sitzen und darauf warten, dass jemand von der Familie oder meinen Bekannten vorbeikommt, vermutlich um sicher zu gehen, dass ich tatsächlich unter der Erde bin. Ich wollte diesem Gedanken einmal nachspüren und ging mit Stroganow auf einen Friedhof.
„Du bist sentimental“, wertet Stroganow meine Überlegungen, aber bevor dem tatsächlich so ist, stößt mir ein Gedanke auf. Wir passieren ein Metallgeländer, an dem in zwei Reihen untereinander Gießkannen hängen. Gebannt von dem Anblick bleiben wir stehen. „Wer nur“, fragt Stroganow, „ist wohl als erster auf die Idee gekommen, seine Gießkanne mit einem Fahrradschloss anzuketten?“ „Diese Frage interessiert mich wenig“, sagte ich, „entscheidend ist doch vielmehr folgender Gedanke: was ist wohl niederträchtiger an dieser zutiefst deutschen Sitte – die Tatsache, sich zu überlegen, dass seine Gießkanne auf einem Friedhof gestohlen werden könnte, oder dass man es hierzulande tatsächlich befürchten muss?
Gibt es ein bestimmtes System oder Farbschema für das Sichern von Friedhofsgießkannen? Schließt man eine grüne Kanne am schönsten mit einem roten Fahrradschloss an und eine gelbe Gießkanne mit einem blauen? Nimmt man ein Schloss mit Schlüssel oder lieber ein Zahlenschloss? Und wenn man ein Zahlenschloss wählt, sollte man lieber eine dreistellige Kombination oder vierstellige wählen? Beachte ich den hohen Anteil von Damen fortgeschrittenen Alters, die sich der unbezahlten Grabpflege verschrieben haben, vermute ich eher die dreizifferige Variante, die wahrscheinlich leichter zu merken ist, wogegen man bei einem vierstelligen Zahlenschloss als Vergesslichkeitshemmer seine EC-Pin-Nummer wählen könnte. Wenn man dann einmal seine EC-Geheimzahl vergäße und folglich kein Geld mehr von der Sparkasse holen könnte, bräuchte man die Zahlenkombination seines Friedhofsgießkannenschlosses ja eigentlich auch nicht mehr. „Komm“, sagt Stroganow, „das wird mir zu kompliziert. Lass uns kurzzeitige Entspannung im Trunke suchen.“
Eine Woche vergeht, und am kommenden Samstag bin ich in der Lage, meinen Kater beim samstäglichen Spaziergang über den Flohmarkt am Hohen Ufer lindern zu wollen. Zufällig entdecke ich Stroganow hinter einem Stand. „Sonderposten, vom Laster gefallen“, raunzt er, meinen fragenden Blick erwidernd. Seine Ware ist adrett auf zwei hintereinander stehenden Tapeziertischen drappiert, und weil Stroganow niemals feilscht, hat er sämtliche Artikel mit kleinen Preisschildern versehen: „Gießkannen, gebraucht, Stück 2 Euro. Mit Fahrradschloss Zweifünfzig!“

von Kersten Flenter

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